Dieses Bild entstand in unserer Trauergruppe.

Wenn langjährige Weggefährtinnen und Weggefährten nicht mehr da sind.

21. Januar 2022

Viele Menschen, die bei der Lebenshilfe Stuttgart arbeiten oder wohnen, sind länger als 20 Jahre bei uns. Manche begleiten wir sogar schon 40 oder 50 Jahre lang. Sie kennen einander deshalb oft jahrzehntelang. Die emotionale Bindung der Kolleginnen und Kollegen aus den Werkstätten und der Mitbewohnerinnen und Mitbewohner der Wohngemeinschaften aneinander ist dementsprechend stark. Und entsprechend groß ist die Lücke, die der Tod in den Gruppen reißt.

Abschied ermöglichen

Trauer ist individuell und jeder Mensch sucht einen persönlichen Weg damit umzugehen. Das ist bei Menschen mit Behinderung nicht anders als bei allen anderen. Mit dem Unterschied, dass sie ihre Gefühle der Trauer oftmals schlechter einordnen oder ausdrücken können. In den Werkstätten bieten wir deshalb verschiedene Formen der begleiteten Trauerarbeit an.

Angefangen damit, dass am Platz des verstorbenen Menschen in der Arbeitsgruppe eine Kerze, ein Bild oder was auch immer an ihn erinnert, aufgestellt wird. Ein Aushang am schwarzen Brett mit Foto informiert auch die Kollegen und Kolleginnen außerhalb der Arbeitsgruppe. Wir ermöglichen allen, die es möchten, den Besuch der Beerdigung und begleiten sie auch dorthin. Viele Menschen mit Behinderung sterben ohne Angehörige zu hinterlassen. In solchen Fällen sind die Kollegeninnen und Kollegen und die Mitbewohnerinnern und Mitbewohner die einzigen Anwesenden bei der Beisetzung.

Trauerfeier

Innerhalb der Werkstätten findet außerdem eine Trauerfeier statt, zu der alle eingeladen sind, die sich dem verstorbenen Menschen verbunden fühlten. Die Trauerfeiern sind sehr individuell gestaltet: Die Lieblingsmusik wird gespielt, der Lieblingskuchen wird gereicht und eine auf die Person des verstorbenen Menschen abgestimmte Trauerrede wird gehalten. Dies übernimmt zumeist Gudrun Herrmann, Seelsorgerin im Robert-Bosch-Krankenhaus.

„Angehörige erzählen mir, wie lebendig und persönlich sie unsere Trauerfeiern erleben und wie sehr ihnen das hilft, mit ihrer Trauer zurecht zu kommen.”
Christiane Möller, Mitinitiatorin der begleiteten Trauerarbeit.

Eltern, die an unseren Trauerfeiern teilnehmen, sind oft sehr erstaunt, welche Lücke ihr Sohn oder ihre Tochter hinterlässt und lernen posthum unbekannte Seiten kennen. Christiane Möller, Jobcoach und Mitinitiatorin der begleiteten Trauerarbeit in der Lebenshilfe Stuttgart, berichtet von Angehörigen, die ihr nach der Trauerfeier mitgeteilt haben, wie „lebendig und persönlich“ sie diese empfunden haben. „Hier konnte ich Abschied nehmen“ erzählen sie ihr.

Trauerarbeit

Der Trauerkoffer enthält viele Materialien zu den Themen Sterben, Tod und Trauer.

Trauer bewältigen

Für jeden verstorbenen Menschen wird ein Gedenkbuch mit Fotos gestaltet. Hier können Mitarbeitende und Trauergäste etwas aufschreiben oder malen. Das Gedenkbuch wird anschließend den Angeörigen übergeben.

Zu einem wichtigen Werkzeug der Trauerarbeit ist der Trauerkoffer geworden. Ihn gibt es in den Werkstätten und in den Wohngemeinschaften. Er enthält verschiedene Materialien, die helfen, in der Gruppe über den Tod und die Trauer zu sprechen.

Manchmal geht die Trauer besonders tief, weil Menschen zum Beispiel ein Elternteil, eine Partnerin oder einen Partner verloren haben. Für diese Menschen wurde eine Trauergruppe ins Leben gerufen. Sie trifft sich regelmäßig unter Leitung von Folkmar Schiek, einem professionellen Trauerbegleiter. Hier haben die Trauernden die Möglichkeit, sich durch Erzählen oder Malen mit
ihren Gefühlen auseinanderzusetzen. Die Teilnahme ist gnaz unterschiedlich. Manchen reichen drei Termine, andere nehmen über mehrere Monate daran teil.

„Der Zugang über das Malen erleichtert das Reden. Manche sind anfangs ganz verschlossen und öffnen sich dann. Andere sind von Anfang an sehr offen. Es herrscht eine ungezwungene Atmosphäre und der Umgang miteinander ist sehr schön. Man merkt, dass sich viele schon lange kennen. Sie sind wie eine große Familie und vertrauen einander. ”
Folkmar Schiek, Bestatter und Trauerbegleiter.

Offener Umgang statt Tabu

Der offensive Umgang, den wir in der Lebenshilfe Stuttgart mit den Themen Sterben, Tod und Trauer pflegen, stößt immer wieder auf Skepsis. Zum einen sind es immer noch Tabu-Themen, mit denen man sich lieber nicht befassen will.
Nicht selten erleben wir außerdem, dass den Menschen mit Behinderung von Seiten der Angehörigen die Teilnahme an einer Beerdigung nicht gestattet wird. Selbst dann nicht, wenn es sich um ein Elternteil oder Geschwister handelt.

Es gibt Fälle, in denen der Tod sogar verschwiegen und mit einer Reise oder ähnlichen Erklärungen begründet wird. Aus guter Absicht: Die Angehörigen befürchten, den Menschen mit Behinderung damit zu sehr zu belasten.

Unsere Erfahrungen zeigen jedoch, dass der offene Umgang mit dem Thema Tod hilft, die Trauer zuzulassen und zu bewältigen. Beerdigung, Trauerfeier und Trauergruppe haben sich bei
der Lebenshilfe Stuttgart als wichtige Bausteine der begleiteten Trauerarbeit etabliert.

„Vor allem die Stillen und Unauffälligen werden gerne übersehen. Doch sie brauchen unsere Unterstützung in der Trauer besonders intensiv.”
Susanne Fingerle, Mitinitiatorin der begleiteten Trauerarbeit.

Trauerhandbuch

Zu den Themen Sterben, Tod und Trauer gibt es viele Fragen zu klären:
„Was muss ich tun, wenn jemand verstorben ist?”
„Wie verarbeiteten Menschen einen Verlust?” „Wie gehen die verschiedenen Religionen mit diesem Thema um?”
Um allen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, die in den Einrichtungen der Lebenshilfe Stuttgart tätig sind, dafür ein Leitfaden an die Hand zu geben, wurde das Handbuch „Sterben, Tod und Trauer” entwickelt. Es enthält eine Fülle an Informationen für alle, die sich mit dieser Thematik auseinander setzen möchten.

 

Das Handbuch „Sterben, Tod und Trauer“ ist exklusiv bei der Lebenshilfe Stuttgart erhältlich.
Kosten: 14,50 Euro plus Versandkosten
Bestellung per E-Mail unter: verein@lebenshilfe-stuttgart.de